„Anna und Arthur halten’s Maul!“
Manchen mag diese Parole veraltet, altbacken, nicht mehr zeitgemäß vorkommen. Dabei hat sich an den Hintergründen nichts geändert: Nach wie vor sind wir als linke Aktivist_innen permanent mit staatlicher Repression konfrontiert und nach wie vor ist der einzig sinnvolle Umgang damit, die Kooperation mit den Repressionsorganen radikal abzulehnen.
Unter dem Slogan „Anna und Arthur halten’s Maul“ entstand 1987 eine Kampagne der autonomen Bewegung zur Aussageverweigerung und gegen jegliche Zusammenarbeit mit staatlichen Repressionsbehörden, die bis heute zentraler Bestandteil linksradikaler Politik ist. Hintergrund war eine enorme Repressionswelle im Zusammenhang mit tödlichen Schüssen bei Protesten gegen die damals geplante Startbahn West am Flughafen Frankfurt, in deren Verlauf massiv Aussagen gemacht wurden. In der konkreten Situation ging es darum, weitere Aussagen vor allem aus den eigenen Reihen zu verhindern. Im Allgemeinen steht die „Anna und Arthur“-Kampagne bis heute für Solidarität und den Schutz unserer Bewegungen. Es ist so wenig verwunderlich wie neu, dass fortschrittliche Bewegungen zum Angriffsziel von staatlicher Repression werden. Die kapitalistische Profitwirtschaft und die zwangsläufig daraus resultierenden Ausbeutungs-, Unterdrückungs- und Machtverhältnisse werden mit allen Mitteln verteidigt. Staatliche Repression ist also kein Skandal, sondern eine logische Konsequenz. Es geht nicht darum, uns immer wieder als Opfer staatlicher Maßnahmen zu begreifen, sondern darum, uns auf staatliche Angriffe einzustellen und Strukturen zu entwickeln, die auf diese Angriffe re agieren können.
Repression soll den Effekt haben, uns abzuschrecken, umzuerziehen und die Öffentlichkeit und den Staat als solchen vor uns zu schützen. Sie ist kein Fehler im System, sondern eine Eigenheit, die wir in unsere politischen Auseinandersetzungen mit einbeziehen müssen. Umgang mit Repression bzw. Antirepressionsarbeit sind damit untrennbare Bestandteile linker Politik und nicht nur lästiges Beiwerk, mit dem sich Betroffene, deren direktes Umfeld und einige Spezialist_innen auseinandersetzen müssen. Es liegt an uns allen, unsere Strukturen vor staatlicher Repression so effektiv wie irgend möglich zu schützen. Das funktioniert nur, wenn wir den Repressionsfall in unsere politischen Auseinandersetzungen einbeziehen und uns theoretisch und praktisch darauf vorbereiten. Ein Teil dieser Vorbereitung ist die Auseinandersetzung mit der Frage, wie wir uns in der direkten Konfronta tion den Repressionsorganen gegenüber verhalten.
Es ist selbstverständlich, dass wir sie nicht in ihrer gegen uns gerichteten Tätigkeit unterstützen. In der Praxis bedeutet dies konsequente Aussageverweigerung, sei es als Beschuldigte_r oder auch als Zeug_in. Polizist_innen, Staatsanwält_innen, Richter_innen und auch Mitarbeiter_innen der Jugendgerichtshilfe versuchen uns zum Reden zu bringen, damit wir uns und/oder andere belasten und Informationen über Strukturen offenlegen. Die eingesetzten Mittel können sehr unterschiedlich sein und reichen von freundlichen Gesprächen über verbalen und physischen Druck bis hin zu strafmildernden Angeboten oder auch Androhung von Strafverschärfung. Lassen wir uns davon beeindrucken und geben Informationen preis, egal wie irrelevant oder harmlos uns diese erscheinen mögen, machen wir uns nicht nur zu Gehilf_innen der Repressionsorgane, sondern legitimieren ihre Arbeit auch durch unsere Mithilfe. Es gibt keine harmlosen Aussagen!
In weiten Teilen der Linken gilt Aussageverweigerung im Sinne von „Anna und Arthur“ als strömungsübergreifen der Konsens. Sie wird an einigen wenigen Stellen aber immer mal wieder kritisiert und in Frage gestellt. Aussageverweigerung wird hier als dogmatisch und autoritär verordnet abgeurteilt. Stattdessen wird die Position vertreten, dass es möglich sei, Repressionsorgane bewusst in die Irre zu führen oder auch etwas über ihre Verfahrenslogik in Erfahrung zu bringen. Unterschiedliche Verhörsituationen werden dafür z. B. als gute Gelegenheiten beschrieben. Die Gefahren, die damit einhergehen, kommen bei diesen Auseinandersetzungen stets zu kurz oder werden gar nicht erst thematisiert. In jedem Gespräch mit Polizei, Staatsanwaltschaft, Gericht, Staatsschutz u. a. werden Informationen erzeugt, die für die Repressionsorgane entweder unmittelbar nutzbar sind oder Rückschlüsse auf Personen und Strukturen zulassen. Wer sich also auf eine „Plauderei“ mit ihnen einlässt und sie dabei selbstherrlich unterschätzt, gefährdet in der Konsequenz nicht nur sich selbst, sondern zieht auch noch andere mit rein. Mit gelebter Solidarität hat das nichts zu tun!
Auch wenn wir Aussageverweigerung als einzig sinnvolles Mittel im Umgang mit Repressionsorganen ansehen, sind wir uns bewusst, dass dies nicht immer und in jeder Situation umsetzbar ist. Es kann Situationen geben, in denen der von der Gegenseite ausgeübte Druck so wirkmächtig ist, dass unsere psychische und vielleicht auch körperliche Verfassung es nicht hergibt, dem weiter standzuhalten. Wenn in einer solchen Situation Aussagen gemacht werden, ist es wichtig, diese nicht schambehaftet zu verschweigen, sondern zu thematisieren und einen offenen Umgang damit zu suchen. Auch hier hilft es, auf den Repressionsfall vorbereitet zu sein und dies immer wieder im eigenen politischen Zusammenhang zu thematisieren. Je mehr wir uns darauf verlassen können, dass unsere Genoss_innen sich um Notwendiges kümmern, wenn wir beispielsweise einfahren, umso schwieriger wird es, uns unter Druck zu setzen.
Darüber hinaus bedeutet Vorbereitung auch, sich damit auseinanderzusetzen, was wir uns als Einzelne in bestimmten Situationen zutrauen und individuelle Grenzen abzustecken. Wenn wir ehrlich damit umgehen, wo uns etwas zu heikel ist, geraten wir seltener in überfordernde Situationen. Der Wunsch nach Heldentum bringt ziemlich sicher uns selbst, aber auch andere in Gefahr.
Die vorliegende Broschüre thematisiert unterschiedliche Situationen, in denen Aussageverweigerung besonders wichtig ist und versucht somit einen Beitrag zur Vorbereitung auf eben diese Situationen zu leisten. Darüber hinaus geht es darum, die Gefahren, die von Aussagen ausgehen, aufzuzeigen und so die individuelle Entscheidungsfähigkeit zu stärken. Wir verordnen keine Dogmen und verpassen keine Maulkörbe, vielmehr zeigen wir auf und begründen, warum Aussageverweigerung im Repressionsfall politisch sinnvoll ist. Wir hoffen, hiermit einen Beitrag dazu zu leisten, dass Aussageverweigerung weiterhin und noch mehr als integraler Bestandteil linker Politik begriffen und praktiziert wird. Konsequente Aussageverweigerung bei Polizei, Staatsanwaltschaft, Gericht und Staatsschutz ist nicht nur ein äußerst effektives Mittel zur Selbstverteidigung linker Strukturen. Sie ist darüber hinaus auch ein offensives und starkes politisches Statement.
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